Shine with shiatsu journal

Unsichtbar, aber nah. 9 Wege mit Verstorbenen in Verbindung zu bleiben

Jede Woche rede ich mit meinen KlientInnen über ihre Trauer. Und über die Menschen, die sie verloren haben. 

Je nach persönlicher Vorstellungskraft, unserer Intuition und Spiritualität, pflegen wir den Kontakt zu unseren Verstorbenen. Es gibt viele Wege, dies zu tun.

Auch ich habe in meinem Trauerprozess erfahren, wie wertvoll es ist, den Kontakt nicht zu verlieren. Ich habe erkannt, dass es Wege gibt, mit meinen Verstorbenen in Beziehung zu bleiben. Das gab mir Hoffnung und ein neues Gefühl der Verbundenheit. In diesem Blogbeitrag möchte ich meine Erfahrungen weitergeben und Möglichkeiten aufzeigen, wie eine Verbindung bestehen bleiben kann.

1. Als die Welt für einen Moment stillstand

Als mein Vater starb, war ich 24. Die Nachricht erreichte mich in der Berliner U-Bahn, Linie 8, irgendwo zwischen Volta- und Bernauer Straße. Ich wollte gerade meine Cousine zum Zug bringen, als meine Tante anrief. Vater sei in der Nacht eingeschlafen. In zwei Tagen ist die Beerdigung.

Ich hörte, was sie sagte. Ich hörte ihre zitternde, aber klare Stimme. Die Worte erreichten mich mit Verzögerung. Mein Kopf war wie abgeschnitten, als wäre er in eine dunklen Wolke eingetaucht.

Ich blieb ruhig, so ruhig, dass ich zweifelte, ob dieser Anruf überhaupt stattgefunden hatte. Doch innerlich tobte alles in mir. Mein Magen krampfte sich zusammen, mein Herz wurde eng. Ich wollte nach Luft schnappen und hatte nur den Geruch der U-Bahn. Meine Cousine sah mich an. Ich wollte ihr erzählen, was passiert war, aber ich brachte kein Wort heraus.

Ich brauche eine schwarze Hose – dachte ich.

2. Zwischen Abschied und Befreiung

Der Tod meines Vaters war auch eine Befreiung. Vor allem für ihn. Viele Jahre vor seinem Tod war er querschnittsgelähmt und verbrachte die meiste Zeit im Liegen. Er konnte sich weder bewegen noch sprechen. Weinen konnte er. Daran habe ich gemerkt, was ihn bewegt hat.

Wie viele Stunden saß ich als Teenager an seinem Bett, massierte seine kalten Füße und wünschte mir, er müsste nicht so leiden. 

Wie viele Jahre hatte ich das Gefühl, körperlich stärker zu sein als er?

Wie oft bin ich vom Pflegeheim zu meiner Theatergruppe gefahren und habe mir eine andere Rolle in diesem Leben gewünscht? Eine mit einem starken und präsenten Vater.

Meine Trauer begann schon vor Jahren. Ich trauerte, weil er nicht mehr aktiv in meinem Leben war. Seine Krankheit stand zwischen uns. Wir haben gelernt damit zu leben. Hatten Wege gefunden, miteinander zu kommunizieren.

Aber jetzt schien alles so endgültig. Etwas ist zu Ende gegangen. Mein Vater ist weg. Für immer.

3. Wo finde ich Dich? Wo finden wir uns?

Nach dem Tod meines Vaters trauerte ich lange um ihn. Jedes mal wenn ich in meiner Heimatstadt war, ging ich zum Friedhof, um sein Grab zu besuchen. Es war ein symbolischer Ort, aber nicht unbedingt der Ort, an dem ich ihn fühlte.

Inzwischen hatte ich seinen Tod akzeptiert, fühlte mich dennoch weiterhin mit ihm verbunden. Unbewusst war ich auf der Suche nach ihm und nach einer neuen Art von Beziehung.

Wo finde ich Teile von dir? Wo können wir uns begegnen? –  fragte ich mich.

Erst viele Jahre später, als ich meine Ausbildung zur Sterbebegleiterin machte, erfuhr ich von „Continuing Bonds“, einem Ansatz der modernen Trauerforschung. Sie besagt, dass eine fortbestehende innere Beziehung zu einem Verstorbenen hilfreich sein kann. Die Beziehung endet nicht, sie besteht weiter, nur anders. Man muss den Verstorbenen nicht loslassen, nicht vergessen. Genauso habe ich es intuitiv empfunden! 

Am meisten habe ich meinen Vater am Wasser gespürt. Oder direkt beim Schwimmen. Dabei erinnerte ich mich, wie wir zusammen geschwommen sind. Ich war damals neun und hatte einen langen geflochtenen Zopf. Ich erinnerte mich, wie wir an einem heißen Sommertag im Freibad waren. Zusammen, Hand in Hand, sind wir vom 5-Meter-Turm gesprungen. Ich hielt seine Hand ganz fest und habe erst losgelassen, als wir tief ins Wasser eingetaucht sind.   

4. Wenn wir bereit sind, besuchen sie uns

Es kann Momente im Alltag geben, in denen wir uns plötzlich verbunden fühlen, weil eine Erinnerung hochkommt, weil ein Foto oder ein Gegenstand uns an diese Person erinnert. Oder ein Geruch. Wie Milchreis mit heißen Himbeeren – da fühle ich mich sofort wieder wie vier Jahre alt in der Küche meiner Großmutter.

Ich habe gemerkt, dass ich immer dann eine Verbindung zu meinem verstorbenen Vater gespürt habe, wenn ich selbst offen dafür war. Wenn ich selbst bereit war, ihn zu empfangen. 

Eines Tages fand ich ein altes Foto. Schwarz-weiß, auf der Rückseite schon vergilbt. Mein Vater schwebt über den Häusern. Er springt ins Wasser. Er wirkt athletisch, sportlich und mutig. In diesem Moment wurde mir klar: Auch wenn seine Persönlichkeit viele Facetten hatte, so möchte ich ihn in Erinnerung behalten. So fühle ich sein Wesen. Seine Essenz. 

5. Wege der Verbindung mit unseren Verstorbenen

Alle Beziehungen leben in uns weiter, auch wenn der physische Körper nicht mehr da ist. Es gibt viele Möglichkeiten, mit Verstorbenen in Kontakt zu treten. Wie bei so vielen Dingen sind unsere Einstellung und unsere Denkweise grundlegend. Sie beeinflussen, was wir für möglich halten.

Toten begegnen wir nicht nur auf Friedhöfen und Grabsteinen, sondern auch in ganz alltäglichen Situationen.

 

1.) Orte

An welchen Orten wart ihr gerne zusammen? Vielleicht ist es ein Gebäude, ein Garten oder Park? Vielleicht eine bestimme Stadt, wo ihr im Urlaub gewesen seid? Suche diese Orte auf und laß Deine Erinnerungen an das Schöne aufleben.

 

2.) Musik

Bei welcher Musik fühlst du dich mit der verstorbenen Person verbunden? Welche Musik hat der Person gefallen? Gab es ein Lieblingslied? Musik kann uns sehr schnell in eine bestimmte Gefühlswelt versetzen. Sie kann unsere Gefühle zum Fließen bringen und für Verbundenheit sorgen.

 

3.) Feiern 

Zum 100.Geburtstag meiner Großmutter habe ich den Küchentisch festlich gedeckt. Ich habe frische Blumen und einen Kuchen hingestellt und wir haben sie gefeiert. Meine Kinder haben ihre Urgroßmutter nie kennen gelernt, aber sie wissen, wer sie war. Man kann Geburtstage, Hochzeitstage, Todestage und andere wichtige Ereignisse zum Anlass nehmen, um wichtige Menschen zu feiern. Oder beim Weihnachtsessen einen Teller für den Verstorbenen hinstellen, damit er symbolisch dabei ist.

 

4.) Essenz 

Finde die Essenz der verstorbenen Person in einem Bild oder einem Gegenstand. Wie möchtest Du ihn in Erinnerung behalten? Welche Eigenschaft oder Qualität möchtest Du sichtbar machen? Die Essenz, die in einem Foto sichtbar wird, erinnert Dich an die Persönlichkeit und den Charakter der verstorbenen Person.

Das Bild, dass ich von meinem Vater ausgewählt habe, wurde in den 70er Jahren gemacht. Er war damals Rettungsschwimmer in einem Schwimmbad. Das Foto zeigt, wie er ins Wasser springt. Es erinnert mich an seine Aktivität und seinen Mut. An die Freude, die er am Sport hatte und die er an mich weitergegeben hat.

 

5.) Schreiben 

Was die Trauer unterstützen kann, ist das Schreiben. Man kann ein Trauertagebuch führen, Gedichte verfassen oder Briefe an den Verstorbenen schreiben. Schreibe, ohne viel nachzudenken, was dir durch den Kopf (oder das Herz) geht.

 

 6.) Aktivitäten 

Welche Aktivitäten habt ihr gemeinsam unternommen? Was habt ihr gerne zusammen gemacht? Beim Schwimmen denke ich oft an meinen Vater. Es passiert nicht immer. Aber wenn es passiert, fühlt es sich sehr natürlich und fröhlich an. 

 

7.) Träume 

Ich habe unzählige Begegnungen mit Verstorbenen in meinen Träumen gehabt. Jedes mal berührt es mich und schenkt mir ein Lächeln. Es ist, als würden sie mich besuchen, mir eine kleine Nachricht schicken. 

In ihrem Buch über die Beziehung zu den Toten schreibt Vinciane Despret über die besondere Rolle der Träume. Es ist eine Art, Botschaften zu übermitteln, auf eine sehr sanfte und fürsorgliche Weise.

 

„Die Toten lassen uns träumen. Es ist eine der schönsten Formen der Fürsorge, die die Lebenden umgibt, sie zwingt, an einem Rätsel zu arbeiten, den Lauf ihrer Handlungen verändert und sie ermutigt, mit den Gewohnheiten zu brechen, die Dinge anders zu verstehen“ – Vinciane Despret

 

8.) Gebet & Meditation

Wenn wir still werden, werden wir uns unserer Innenwelt bewusst. Dann öffnen wir unsere subtile Wahrnehmung für uns selbst und unser äußeres Feld. Es kann eine gute Möglichkeit sein, unsere verstorbene Person in einen Raum der Stille einzuladen. Dabei können wir auch eine Kerze anzünden. Für viele Menschen ist das Gebet auch eine Form der Verbindung. Gebete vorzulesen oder zu sprechen kann die Nähe zu unseren Verstorbenen unterstützen. 

 

9.) Channeling 

Es gibt Menschen mit medialen Fähigkeiten, die mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen können. Wenn man diese Praxis nicht kennt, kann es zunächst etwas unheimlich erscheinen. Aber wenn man mittendrin ist, spürt man sehr schnell, ob es stimmig ist oder nicht. Es kann sehr heilsam sein. Vor allem, wenn man das Gefühl hat, von den Verstorbenen Antworten auf seine Fragen zu bekommen.

6. Fazit

Unsere Beziehungen prägen unser ganzes Leben. Auch nach dem Tod, sind sie wichtig und wertvoll. 

Ich glaube daran dass, Verstorbene Botschaften an uns senden. Und ich glaube, dass es vor allem darauf ankommt, sich dieser Möglichkeit zu öffnen.

Der Kontakt zu Verstorbenen kann uns aufmuntern und Hoffnung bringen. Es kann unser Leben neu ausrichten. Was möchte ich als Erinnerung behalten? Wie möchte ich mit meinem Verlust weiterleben? Welcher Anteil darf gehen und welcher bleiben? Daher ist es sowohl eine Auseinandersetzung mit dem Tod, als auch dem Leben. 

Wie hältst du selbst Kontakt zu deinen Verstorbenen?

Alles Liebe,

Aleksandra 

Aleksandra Hoffmann Shiatsu Berlin

über die autorin

Aleksandra Hoffmann

Aleksandra Hoffmann ist zertifizierte Shiatsu-Praktikerin in Berlin. Sie unterstützt KlientInnen in Zeiten von körperlichem und emotionalem Stress, sodass sie sich in ihren Körper und ihre Bedürfnisse hineinspüren können. Und Frieden in sich selbst finden.