Shine with shiatsu journal

Vielfalt am Lebensende. Bericht über die Messe „Leben und Tod“ in Bremen, Mai 2025

Menschen leben und sterben divers. Das klingt zunächst einmal verständlich und nachvollziehbar, denn jeder von uns ist einzigartig. Doch was genau bedeutet das?

Mit dieser Frage haben wir uns vom Netzwerk Instytut Dobrej Śmierci (Institute of the Good Death) den Weg nach Bremen gemacht. Dort fand die alljährliche Messe „Leben und Tod“ statt. In diesem Jahr lag der Fokus auf Diversity & Teilhabe und der Frage: „Am Ende … sind wir alle gleich?“ Es gab vielfältige Diskussionen, Vorträge und Workshops. Einige davon haben mich besonders nachdenklich gemacht.

1. Sterben queere Menschen anders?

Gleich zu Beginn der Messe höre ich den Vortrag von Dr. phil. Axel Doll. Er erzählt, mit welchen Herausforderungen LSBTIQ+-Menschen im deutschen Gesundheitssystem zu kämpfen haben. Mangelnde Akzeptanz und Abwertung führen dazu, dass sich durchschnittlich 18 % queerer Menschen im deutschen Gesundheitswesen diskriminiert fühlen. Am meisten betroffen sind trans Personen (40 %) und inter Personen (43 %). Dabei geht es nicht nur um schiefe Blicke und gehässige Kommentare. Ein Satz bleibt mir besonders im Gedächtnis. Dr. Doll berichtet, dass eine höhere Karzinom-Rate bei trans Männern festgestellt wurde. Der Grund dafür ist, dass ihnen der Zugang zu bestimmten Leistungen oftmals verweigert wird. Diskriminierung hat also klare gesundheitliche Folgen.

Dr. Doll spricht über die Ängste der LSBTIQ+-Community. Die Bedürfnisse dieser Menschen werden in vielen Pflegeeinrichtungen nicht berücksichtigt. Es besteht noch großer Bedarf, die Umstände zu verbessern – sowohl durch passende medizinische Angebote und Wissensvermittlung als auch durch einfühlsames Verständnis für individuelle Lebenslagen. Es geht um sensible Sprache, emphatische Pflege, respektvollen Umgang mit der Biografie der Patientinnen und Patienten sowie die Anerkennung vielfältiger Familienmodelle, um nur einige Themen zu nennen.

Unsere Gesellschaft verändert sich. Junge Menschen in Deutschland, die der „Gen Z“ zugeordnet werden können, sind viermal so queer wie die Generation ihrer Großeltern. Deshalb werden uns Fragen zu den Bedürfnissen der LSBTIQ+-Community auch in Zukunft begleiten.

2. Biografie und Beziehungen

In einem anderen Vortrag geht es um die Familie als Ort der Vielfalt. Jede Familie hat ihre eigenen Wurzeln und Traditionen. Dazu gehören Sprache, Religion, der Umgang mit Behinderung, sexueller Orientierung und Privilegien. All das macht sie einzigartig und prägt uns von Kindheit an.

Viele Familien haben darüber hinaus Migrations- oder Fluchterfahrungen. In Deutschland betrifft das mehr als 20 Millionen Menschen. Laut dem Statistischen Bundesamt hat jeder Vierte in Deutschland eine Einwanderungsgeschichte – entweder er selbst ist eingewandert oder seine beiden Eltern. Dahinter steht ein unglaublicher Wert interkultureller Erfahrung und Expertise. Es ist wichtig, das anzuerkennen und nicht zu schnell in vorgefassten Vorurteilen zu denken. Vielfalt zeigt sich nicht nur in unserem Aussehen, sondern auch in unseren vielfältigen Lebenserfahrungen.

Der Referent Ateş Anton Bükey ist weit davon entfernt, Verallgemeinerungen zu treffen. In der Ankündigung seines Vortrags heißt es: „Der Hintergrund eines Menschen lässt sich nicht erahnen, er lässt sich nur erforschen.“ Er plädiert für ein reflektiertes und wertschätzendes Miteinander.

Welchen Einfluss haben familiäre Strukturen auf das Lebensende? Was, wenn biologische Bindungen nicht mehr unterstützend sind? Ich denke dabei an den Begriff der Wahlfamilie. Dazu zählen auch gute Freunde. Es ist ein Netzwerk nahestehender Menschen, das emotional trägt und Sicherheit bietet. Unterstützende Strukturen sind bereits zu Lebzeiten wichtig. Wenn sie vorhanden sind, fühlen wir uns weniger einsam und ausgegrenzt. Das ist besonders in der letzten Lebensphase essenziell.

3. Dem ganzen Menschen begegnen

Queere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund sterben nicht anders als alle anderen. Was jedoch anders ist, sind die Bedingungen und Bedürfnisse, die sie haben. Diese ergeben sich oft aus lebenslangen Erfahrungen mit Diskriminierung, mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz und Ängsten. Darüber müssen wir reden. Die Messe „Leben & Tod“ ist ein wunderbares Beispiel für Wissensvermittlung und Dialog.

In einer so diversen Gesellschaft wie Deutschland müssen wir uns fragen: Wie können wir dazu beitragen, dass sich Menschen hier willkommen und zugehörig fühlen? Wir brauchen Sensibilität füreinander. Am besten schon zu Lebzeiten. Menschen sind nie das Problem, sondern unsere Haltung ihnen gegenüber. Unsere Offenheit, in einem anderen Menschen uns selbst zu sehen.

Während ich auf dem Rückweg im Zug sitze, fallen mir die Worte von Margot Friedländer ein, die auch Herr Bükey zitiert hat. Margot Friedländer war eine beeindruckende Persönlichkeit und Holocaust-Überlebende, die Anfang Mai 2025 gestorben ist. Sie sagte:

„Wir sind alle gleich. Es gibt kein christliches, kein muslimisches, kein jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut“. 

Auch wenn wir unterschiedlich sind und unsere Lebenswelten durch verschiedene Erfahrungen geprägt sind, kehre ich gerne zu diesem Zitat zurück. Denn es beinhaltet den Kern einer Haltung, die wir immer haben sollten. Am Ende sind wir alle Menschen – und das verbindet uns am meisten.

 

Alles Liebe, 

Aleksandra 

Aleksandra Hoffmann Shiatsu Berlin

über die autorin

Aleksandra Hoffmann

Aleksandra Hoffmann ist zertifizierte Shiatsu-Praktikerin in Berlin. Sie unterstützt KlientInnen in Zeiten von körperlichem und emotionalem Stress, sodass sie sich in ihren Körper und ihre Bedürfnisse hineinspüren können. Und Frieden in sich selbst finden.